Tuesday, May 4, 2010

Ein ganz besonderes Schicksal!

So liebe Blogophile,

"Es hat lange gedauert." Das scheint wohl zum Standardspruch auf dieser Seite zu werden. Aber ich moechte euch daran erinnern, dass ebenso wie ein Obstbaum, der nicht staendig Fruechte tragen kann oder ein junger Rotwein, der Zeit zum Ausbau und zur Entwicklung seines einzigartigen, koestlichen Charakters braucht, auch ich erst muehsam meine Stories sammeln und gegebenenfalls verfeinern muss. Es gibt immer viel zu erzaehlen. Aber um sicher zu gehen, dass ihr mit keinem langweiligen Durchschnittsmuell angeoedet werdet wie sonst fast ueberall in den Medien, sortiere ich erst einmal alles sorgfaeltig durch und praesentiere euch dann ausschliesslich die Auslese.

In diesem Sinne, nehme ich eure Entschuldigung fuer die Ungeduld schon einmal vorab an und sage: "Keine Ursache! Ihr konntet es ja nicht wissen."

Also, waehrend ich eigentlich vorhatte noch etwas gemuetlich bis zum naechsten Wochenende "zu sortieren", ist gestern doch etwas Ungewoehnliches und hoechst Bemerkenswertes geschehen, dessen Report absolut keinen weiteren Aufschub duldet.
Um nicht allzu viele Fragen im Nachhinein beantworten zu muessen, die die Erzaehlung meines Erlebnisses eventuell aufwerfen koennte, gebe ich noch einmal ein kurzes Status-Update meiner Freizeitaktivitaeten.

Seit Maerz habe ich angefangen einen Portugiesischkurs zu belegen. Ich hatte mir gedacht, dass es hier wohl so sein wuerde wie ein standard VHS-Sprachkurs in Deutschland, also etwa 2-4h pro Woche. Leider gab es dieses Angebot in keinem naheliegenden Sprachinstitut. Das einzige erhaeltliche Sprachpaket war: "Português - Super Intensivo".
Das heisst im Klartext fuenf mal pro Woche je 2 Stunden Unterricht! Das war etwas mehr Service als ich eigentlich in Anspruch nehmen wollte, aber hey, wenn ich schon mal da bin und es im Monat umgerechnet gerade mal knapp 30 Euro kostet, dann bin ich doch direkt am Start.

Der Gruende, warum ich Portugiesisch angefangen habe, sind vieler. Im Prinzip wollte ich damals eigentlich nur meine Mitfreiwillige Steffi davon ueberzeugen, sich die Chance nicht entgehen zu lassen. Also fing ich an, ihr eine lange und stichhaltige Argumentation vorzutragen. Ich konnte zwar nicht sie, aber immerhin mich selbst von der Idee komplett ueberzeugen. Ich kam mir schon immer recht ueberzeugend vor, aber damit haette selbst ich, in meiner ueblichen Ueberheblichkeit, nicht gerechnet.

An dieser Stelle kann ich auch nur jedem dazu raten, eine (weitere) Fremdsprache zu lernen. Mit jeder neuen Sprache kann man die Welt aus einem voellig neuen Blickwinkel betrachten und Dinge sehen und verstehen, die einem zuvor verschlossen waren. Mir wird das immer wieder bewusst, wenn ich interessante Gespraeche mit Leuten fuehre, die ich noch vor einem Jahr nicht haette verstehen koennen. Sprache ist etwas Wunderbares und hat fuer mich immer schon etwas Magisches an sich gehabt.
Doch genug der Sprachphilosophie und zurueck zu meinem Update.

Wir lesen derzeit im Kurs unser erstes Buch im brasilianisch-portugiesischen Originaltext. Einer der Gruende, der mich dazu verleitete diese Fertigkeit zu erlernen, war und ist, weil ich in der Lage sein wollte, die Buecher eines bestimmten Mannes ohne verfaelschende Uebersetzung lesen zu koennen. Er ist Brasilianer und Polyglott, also ein Mann, der mehrere Sprachen perfekt beherrscht. Ein ehemaliger Jura-Student und bekennender Ex-Junkie. Ein sehr erfolgreicher Globetrotter und Mitglied eines alten spanischen Ordens. Er hat tausenden Menschen Inspiration gebracht. Man sagt sogar, seine Erzaehlungen koennten Depressionen heilen sowie neuen Mut und Hoffnung geben.

Wer ist dieser Mann?

Sein deutscher Name waere Paul Hase. Die Rede ist von Paulo Coelho, einem meiner absoluten Lieblingsautoren.

In der ersten Unterrichtsstunde im Maerz war ich etwas frueher da als der Rest. Da fragte mich meine Lehrerin, Marta de Bueno, warum ich mich denn dazu entschlossen haette, ihren Kurs zu besuchen. Aus all den Gruenden, die mir so im Kopf herumschwirrten, platzte mir einfach ein "weil ich Coelho verstehen und lesen moechte" heraus.
Schon als ich das letzte Wort gesprochen hatte, kam ich mir unglaublich bloed vor. Ich komme in ihren Kurs und rede von irgendeinem Autor, von dem ich nicht einmal weiss, ob sie je von ihm gehoert, gar etwas gelesen hat. Und falls Ja, was wuerde sie ueberhaupt von ihm halten? Und warum sollte ich dann nicht einfach eine deutsche Uebersetzung lesen?
Ich erwartete ein verwirrtes "Wer!?" oder einen Vortrag ueber den wahren Nutzen und der Geschichte der portugiesischen Sprache. Stattdessen, jedoch, laechelte sie mich nur verstaendnisvoll an und nickte mit dem Kopf. So, als ob sie einst genau dasselbe hatte tun wollen. Dann sagte sie zu mir in ihrer Muttersprache, die mir auf einmal ueberraschend verstaendlich war:

"Coehlo! Ja, ich kenne ihn. Er ist ein guter Freund von mir."


Ich starrte sie ein paar Sekunden unglaeubig an, aber dann erzaehlte sie mir die Geschichte, wie sie ihn wohl kennen gelernt hatte. Dazu reichte mein Verstaendnis leider nicht mehr ganz aus, da sie, wie zuvor, in einer mir fremden und dem Spanischen nur begrenzt aehnlichen Sprache redete. Jetzt war ich es, der einfach mit dem Kopf nickte. Aber das war mir egal. Irgendwie fuehlte ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, den Kurs zu belegen.

Dieses Gefuehl hat mich bisher nicht betrogen. Auch nach zwei Monaten bin ich immer noch hellauf begeistert und finde die schwungvoll-zackige Zunge Brasiliens mittlerweile schoener als Spanisch. Ich habe vor, sie in Deutschland auf jeden Fall weiterzulernen.

Doch dies war nur mein eigenes spezielles Erlebnis mit Coelho und seiner Sprache. Das, was ich euch nun erzaehlen werde, ist bei weitem ungewoehnlicher und, zumindest aus meiner Sicht, Inspiration und Lebensbejahung pur.
Dazu muesst ihr wissen, dass wir gerade den "Alchimisten" lesen, oder "O Alquimista" im Original; Coelhos zweites Werk. Ich hatte es mir vor einigen Jahren schon einmal zu Gemuete gefuehrt, aber vieles leider wieder vergessen. Daher war ich sehr positiv ueberrascht als unsere Lehrerin diese erste Pflichtlektuere bekanntgab.

Es handelt kurzgesagt vom jungen Hirtenjungen Santiago, der seine Familie und geliebte Schafherde in Andalusien verlaesst, um einen Schatz in Nordafrika zu suchen, der ihm mehrmals im Traum erscheint und ihn fortan nicht mehr loslaesst. Auf seiner Reise begegnen ihm viele wunderbare Dinge, die ihm zeigen wie grossartig und unberechenbar das Leben auf dieser Welt sein kann.
Ich moechte nichts vorwegnehmen, aber insgesamt ist das Buch eine Ansammlung von tiefgruendigen Lebensweisheiten, die in eine interessante Handlung eingewoben werden. Immer wieder muss man kurz innehalten und begreift, voellig verdutzt, wie sehr doch die Schlussfolgerungen, die der junge Spanier zieht, auch auf das eigene Leben und den eigenen Alltag zutreffen.
Ich, fuer meinen Teil, konnte kaum glauben, dass mir diese Dinge nicht schon viel frueher aufgefallen waren. Es ist defintiv ein Buch, das ich wieder und wieder lesen koennte. Muesste ich ins Exil auf eine einsame Insel und haette nur Platz fuer ein einziges Schriftstueck, dann wuesste ich jetzt schon, welches es sein wuerde.

Original Buch-Cover

"Der Alchimist" bei Amazon


Dann geschah es gestern in der zweiten Haelfte des Kurses.

Wie jeden Tag mussten wir wieder nach vorne kommen und auf Portugiesisch in eigenen Worten einen vorbereiteten Teil des "Alchimisten" nacherzaehlen. Waehrend ein Maedchen bei der Wiedergabe gerade eine Sprechpause einlegte, meinte einer unserer Mitschueler laut toenend: "Ne, mir hat dieses komische Buch ueberhaupt nicht gefallen."
Etwas geschockt, aber auch mit einer Spur von Mitleid fuer ihn, wartete ich, wie wohl die Reaktion der Lehrerin ausfallen wuerde. Sie sah ihn nur ernst an und meinte: "Wen interessierts, obs dir gefaellt?! Du sollst hier Portugiesisch lernen und keine Buchkritik schreiben."

Als wir dann alle vorgetragen hatten und sie uns gerade entlassen wollte, erhob sie noch einmal ihre Stimme und sah uns dabei allen nacheinander in die Augen, blieb mit ihrem Blick aber schliesslich auf dem Jungen liegen, der zuvor lautstark seine Kritik abgegeben hatte.
Sie sagte: "Mein Sohn, bevor du vorschnell ueber dieses Buch urteilst, moechte ich dir sagen, dass ich diese Lektuere bereits seit Jahren immer wieder erfolgreich fuer meine Schueler verwende. Viele hat sie bisher begeistert, ergriffen und nie wieder losgelassen. Und ich kann dir eines sagen: Dieses Buch hat bereits Leben veraendert!"

Mit erwartungsvollen Mienen blickten wir sie alle an und nach einer kurzen Kunstpause fing sie an, die Geschichte eines ehemaligen Schuelers wiederzugeben, der einst auch "O Alquimista" bei ihr gelesen hatte.

Sie begann langsam und klar zu erzaehlen. Ihr Blick schweifte dabei verschwommen in die Ferne, so als ob sie mit ihren Gedanken und Gefuehlen woanders war und nur noch ihre aeussere Huelle und heissere Raucherstimme im Raum bei uns liess:

Vor einigen Jahren kam ein Junge aus recht armen Verhaeltnissen zu ihr in den Super Intensivo Kurs. Er arbeitete bis spaet nachts, um genug Geld zu verdienen, um sich den Kurs leisten zu koennen, der fuer hiesige Verhaeltnisse zugegebenermassen nicht gerade guenstig ist. Er wohnte zu der Zeit in einem heruntergekommenen Viertel, das wohl "El Cocodrilo" (das Krokodil) hiess. Dort lebte er mit seiner unterdrueckenden Mutter und einer Schwester in armen Verhaeltnissen ohne grosse Aussicht auf sozialen Aufstieg.
Nachdem er die Lektuere dann daheim beendet hatten, rief der Schueler eines Freitagabends bei Frau De Bueno aufgeregt, aber selbstbewusst an und teilte ihr mit, dass er sich entschlossen habe, in die USA zu gehen, dort ein neues Leben zu beginnen und alles dafuer tun wolle, dorthin zu kommen. Als sie ihn daraufhin fragte, wie er sein Vorhaben denn zu finanzieren gedenke, antwortete er nur: "Ich weiss es noch nicht, Profe, aber ich werde es schaffen. Ich will es von ganzem Herzen!" Unsere Lehrerin schlug ihm vor, sich fuer ein Stipendium nach Brasilien zu bewerben und sich von dort aus weiter durchzuschlagen.
Er arbeitete in den folgenden Wochen sehr hart und war auch auf bestem Wege ein Stipendium zu bekommen. (Marta erzaehlte uns, dass alle Stipendien, die halbjaehrlich von der brasilianischen Botschaft vergeben werden, fast ausschliesslich von ihren Schuelern besetzt werden!).

Dann geschah etwas Kurioses. Schicksal, wenn man so will.


Er lernte ein Maedchen hier in Paraguay kennen und verliebte sich in sie. Sie wurden ein Paar und waren nicht mehr voneinander zu trennen. Und es geschah, dass ihre Eltern sehr reich waren. Dann erzaehlte er bald seiner Freundin, dass es sein grosser Traum sei, eines Tages in die USA zu gehen und womoeglich dort zu bleiben. Er tat dies sehr vorsichtig, da er fuerchtete ihre Gefuehle verletzen zu koennen. Sein Schatz jedoch gab dies an ihren Vater weiter, der den Jungen sehr gut leiden konnte. Ein paar Tage spaeter bot er ihm an, mit seiner Tochter in die USA zu ziehen, nachdem beide ihr Studium dieses Jahr abschliessen wuerden. Er bezahle fuer alles bis sie beide auf eigenen Beinen stehen koennten, meinte er. Voellig fassunglos vor Freude, umarmte er seine Freundin, ihren Vater und studierte Tag und Nacht, um ein gutes Examen hinzubekommen. Gegen Ende des Jahres flogen dann beide in die USA, wo er ein Aufbaustudium abschloss. Dort lebten sie dann ein paar Jahre, bevor dem Jungen eine Karriere als Fotomodel angeboten wurde. Mittlerweile hat er sehr viel Geld verdient und lebt in Spanien. Allerdings nicht ohne in der Zwischenzeit viele Laender bereist und kennen gelernt zu haben.
Vor einigen Monaten rief der Schueler dann bei Marta an und berichtete ihr von all den Geschehnissen und endete das Gespraech mit den Worten: "Haben Sie vielen Dank, Profe! Haetten Sie mir damals nicht den "Alquimista" zu lesen gegeben, der mich motiviert hatte, meinen Traeumen zu folgen, wuerde ich noch heute mit meiner Mutter und Schwester im "Cocodrilo" hausen." Und unter einem leichten Schluchzen fuegte er noch hinzu: "Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel ich Ihnen und Coelho verdanke. Tausend Dank!"

Die gesamte Klasse hatte ihren Blick auf die Lehrerin gerichtet und hing an jedem Wort, als sie uns ploetzlich mit einer Handbewegung entliess. Aber wir sassen nur da und liessen das auf uns einwirken, was sie uns gerade mitgeteilt hatte. Es herrschte voellige Stille im Raum. Nur der vorher so selbstbewusste Junge murmelte halblaut: "Eigentlich war es ja gar nicht so schlecht..."

E quando você quer alguma coisa, todo o Universo conspira para que você realize seu desejo.
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Und wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das gesamte Universum dazu beitragen, dass du es auch erreichst. - Paulo Coelho, O Alquimista

7 comments:

  1. Also ich bin ja sowieso ein sehr großer Fan von diesen "vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten" - sei es mit einer untalentierten Jennifer Lopez in der Hauptrolle oder in einem oscarprämierten indischen Streifen ...aber das hier hab ich echt mit Gänsehaut gelesen! (Insbesondere da ich weiß, wie gering die Möglichkeiten hier in Paraguay tatsächlich sind)...

    Super tolle Geschichte und wie immer außergewöhnlich gut erzählt!

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  2. Das hat ja mal wieder lange gedauert bis der Blog-Eintrag fertig war. xDD

    Nee, aber Resepekt. Ist dir echt gut gelungen ;)

    -Pascal

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  3. Danke!!



    - Julian -

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  4. Hab grad vor kurzem ein Buch mit Paulo Coelho-Zitaten gelesen (leider auf Englisch, nicht im Original) und kann gut nachvollziehen, wie inspirierend seine Worte sind, und im Original muss es noch intensiver sein. Interessante Geschichte!

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  5. "Das Geheimnis des Glücks besteht darin, alle Herrlichkeiten dieser Welt zu schauen, ohne darüber die beiden Öltropfen auf dem Löffel zu vergessen." - Paulo Coelho

    -Patrik-

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  6. Lieber Jan,

    ich habe deinen eintrag jetzt zum zweiten mal gelesen und ich finde ihn wirklich spitze. abgesehen von meinem eigenen (www.matzi-paraguay.blogspot.com) ist deiner ja auch mein lieblingsblog ;).
    mach bitte weiter so jan, bleib deinem schreibstil treu!!
    eigentlich haette ich jetzt auch lust das buch zu lesen, aber du weisst ja wie das bei mir ist " JA JA- NAECHSTE WOCHE AUF JEEEEDEN FALL"

    In diesem Sinne,
    LG Matthis

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  7. Einfach eine schöne Geschichte,
    man muss Mut zum Träumen haben und noch viel wichtiger - sie dann auch leben!

    -Olli

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